Japan im Spiel!?

Abbild der japanischen Öffentlichkeit im Spiel

Zu dem realitätsgetreuen Weltbild eines Spiels trägt das Setting wohl am meisten bei. Es macht schließlich einen Unterschied, ob wir uns in einer Fantasiewelt voll mit Feen, Zwergen und Magie befinden, im viktorianischen Zeitalter oder in der Gegenwart. Catherine spielt nicht ohne Grund in einer kontemporären, amerikanischen Großstadt [1]. Das gegenwärtige und realistische Flair entsteht vor allem durch die Szenen, die im Café „Chrono Rabbit“, der Bar „Stray Sheep“, in Vince‘ Wohnung oder im Sushi Restaurant „Kappa Heaven“ stattfinden. Jede Szene, die in einem solchen Lokal von statten geht, projiziert nicht nur eine Verbundenheit mit den Charakteren, oder erinnert an eigene Erfahrungen, sondern verleiht auch den japanischen Touch, der dem Spiel immerwährend unterliegt.

Der Hase mit der Uhr.

Betrachtet er die öffentlichen Schauplätze näher, so mögen dem Spieler einige Konstanten auffallen, die an diesen Orten stetig wiederkehren. Eines der ersten Orte, die wir kennenlernen ist „Chrono Rabbit“ – das Café in dem Vincent Brooks sich ausschließlich mit Katherine trifft. Der Name setzt sich aus dem Wort „Chronograph“ und „Hase“ zusammen, was eine Referenz auf den Hasen aus Alice im Wunderland ist. Der gehetzte Nager, der ständig auf seine Uhr starrt, weil er fürchtet zu spät zu kommen, ist der Auslöser, wie Alice überhaupt ins Wunderland kommt.

Tatsächlich gibt es an der Stelle viele Parallelen zu dem Verhalten von Vince, wenn er im „Chrono Rabbit“ sitzt, aber wir wollen uns auf das Setting an sich konzentrieren.

Der pink-lilane Anstrich ruft einen sehr stereotypen weiblichen Eindruck hervor. Nicht nur, dass selbst die Tassen und Teller Rosa sind, auch das Klientel ist im Durchschnitt jung, stylisch und weiblich. Vince passt, bis auf sein pinkes Shirt, nicht wirklich in diese Umgebung hinein. Oben drein scheint es, als hätte Katherine in den Gesprächen, die dort stattfinden, einen Heimvorteil, denn sie dominiert die Konversationen und lässt Vincent kaum Entscheidungsfreiraum. Jedoch ist nicht zu übersehen, dass sich auch Katherine im „Chrono Rabbit“ nicht zu hundertprozentig zu Hause fühlt. Sie wirkt deutlich älter als die anderen Frauen im Lokal und ihr Kleidungsstil ist bei weitem nicht so Jugendlich, wie die Kulisse. Durch dieses Umfeld wirkt sie etwas konservativer.

Man mag den Wunsch jünger und freier zu sein in Katherines Wahl des Cafés hineininterpretieren. Die Spielthematik bezüglich der Auseinandersetzung mit dem „Erwachsen werden“, sich zu binden und einen geordneten Pfad im Leben zu gehen, reißt in Bezug auf Katherine den japanischen „Arasā“-Diskurs[2] an. Katherine ist dem Druck der Gesellschaft, vor allem dem ihrer Eltern, ausgesetzt, sich auf eine Ehe festlegen zu müssen. Diese Unbehaglichkeit und der innere Konflikt wird weniger durch die Kulisse selbst, als mehr durch den Kontrast zwischen Katherine und des öffentlichen Raumes hervorgerufen.

Ein Himmelreich für Wasserdämonen.

Ein weiterer öffentlicher Ort, den Vincent mit nur einer weiteren Person teilt, ist die Sushi-Bar „Kappa Heaven“. Sie bringt eine japanische Note ins Spiel, denn Restaurants mit Fließband-Sushi sind in Japan – vielmehr als in Amerika – ein üblicher Ort für gutverdienende Geschäftsmänner. Entweder treffen sie sich dort mit Arbeitskollegen, um geschäftliche Kontakte zu knüpfen, die Arbeit zu diskutieren oder einfach ihre Mittagspause zu verbringen. So sehen wir im „Kappa Heaven“ vorwiegend Männer in Anzügen. Ab und zu kommentieren auch Frauen das Geschehen, welche aber eher wie mitgebrachte Dates oder Partnerinnen in der Männerdomäne wirken. Die Sushibar scheint insofern authentisch, als dass sie die Innenausstattung und das Essen, sowie Trinken realitätsgetreu darstellt.

Der Name der Bar setzt sich aus „Kappa“ und „Himmelsreich“ zusammen. „Kappa“ sind japanische Mythologiewesen, welche eine Kreuzung von Mensch und Frosch sein könnten. Sie stellen eine Art Flussgottheit dar, sind in diesem Zusammenhang aber einfach als Zeichen für Japan zu verstehen. „Kappa“ werden nämlich heutzutage oft als Symbol für das Land genutzt.

Weil sie Arbeitskollegen sind, verbringt Vincent seine Zeit im „Kappa Heaven“ ausschließlich mit Orlando, der ebenfalls unter Albträumen leidet. Dementsprechend können sie sich über diese auslassen, das aktuelle Tagesgeschehen diskutieren oder über Vinces Liebesleben philosophieren. Ein Gefühl von Gelassenheit begleitet ihre Konversationen. Vince dominiert – im Gegensatz zum „Chrono Rabbit“ – die Unterhaltungen meist und es wird deutlich, dass Orlando ihm nur als Reflektion dient, selbst aber keinen Charakter mit Tiefe bildet. Auch die Kommentare der Gäste, die hin- und wieder eingeworfen werden, fügen sich gut in die Gesprächsdynamik ein. Die allgemeine Stimmung wirkt nie angespannt, denn obwohl weder Vince noch Orlando in Anzüge gekleidet sind, wirken sie der Kulisse nicht gänzlich fremd. Sie fallen nicht sonderlich auf, gehören aber auch nicht genuin in die Welt der Arbeitergesellschaft.

Das verirrte Schaf.

Zuletzt bleibt die Bar „Stray Sheep“, in der die meiste Handlung des Spiels stattfindet. „Stray Sheep“ weist mit dem Namen nicht nur auf die Schafe, die in Vincents Alpträumen vorkommen hin, sondern ist auch das einzige Lokal, das spielbar ist, in dem der Hauptcharakter frei bewegt werden kann. Die Bar ist nach amerikanischem Vorbild gestaltet: An den Wänden befinden sich nostalgische Filmposter, eine Jukebox kann bedient werden und auch die Theke ist im westlichen Stil gehalten. Allerdings lässt sich vielleicht über die Arcade-Automaten, sowie die Option Sake zu trinken, streiten, weil Beides eher in japanischen als amerikanischen Bars zu finden wäre. Um beim Sake zu bleiben: Die Bar ist ein Ort für Vince und seine Freunde, um sich zu unterhalten oder zu entspannen. Hier kann Alkohol getrunken oder geraucht werden[3]  und der Spieler erhält als Zusatz kleine Hintergrundgeschichten zu jedem Getränk, das der Protagonist leertrinkt. 

Hier kann Vincent auf Augenhöhe mit seinen Freunden Orlando, Johnny und Toby reden. In der Bar gibt es kein bestimmtes Klientel – von Zwillingen im hohen Alter, über Polizisten bis hin zu Reportern gehen alle ein und aus. In dieses Setting passt Vince unumstritten hinein. Das „Stray Sheep“ bildet die Welt jener Erwachsenen ab, die ohne Verantwortung oder Zwang leben. Eine Welt in der Vince nicht beurteilt oder belehrt wird. Es ist also kein Zufall, dass er Catherine hier trifft, dort wo er sich am wohlsten zu fühlen scheint.

Eine originelle Tierkombination.

Tatsächlich bildet die Barszene in Japan einen Ort des Rückzugs oder vielleicht auch der Flucht vom Alltag. Beobachtet man die Orte an denen die Handlungen stattfinden, so fällt auf, dass diese sehr selten in der Wohnung von Vince und stattdessen sehr oft im öffentlichen Raum stattfinden.

Mittags sehen wir Vincent und Orlando im „Kappa Heaven“; wenn Vince seine Beziehung beredet geschieht dies im „Chrono Rabbit“ und die Freizeit findet abends im „Stray Sheep“ statt. Die Wohnung ist lediglich ein grauer Ort, der zum Schlafen oder wahlweise zum Fremdgehen dient. Grundsätzlich trägt die Wohnung eher eine Stimmung der Angst mit sich, obwohl sie ein Gefühl der Sicherheit oder Geborgenheit bieten könnte. Dies ist durchaus mit dem Großstadtleben in Tokyo zu vergleichen, wo kleine Wohnungen aufgrund des engen Lebensraums normal sind und das Alltagsleben tatsächlich in öffentlichen Räumen wie Cafés, Bars und Restaurants stattfindet[4].

Catherine stellt die Probleme, Sorgen und Nöte von Vincent sehr gekonnt durch die öffentlichen Kulissen dar. Der Spieler bekommt ein Gefühl für das Universum, in dem die Handlung stattfindet. Durch die Wahl der Lokale, wird schnell der gesellschaftliche Status der Hauptcharaktere und ihre Bindung zueinander deutlich. Zudem werden die Figuren entweder durch die Settings oder durch den Kontrast zu Diesen näher charakterisiert.

© Anastasia Kudinov & Sidonie von Ploetz // Wintersemester 2017/2018

 

Fußnoten:
[1] Oder zumindest einer japanischen Version einer amerikanischen Großstadt. Zwar hat Katsura Hashino die USA bereits besucht, aber generell bescheibt er die Settings im Spiel, als etwas, wie er sich Amerika und den Lebensstil dort
vorstellen würde. Im Anbetracht der Tatsache, dass viele Trends der Moderne aus Nordamerika kommen und „der Westen“ in Japan generell mit „Modernem“ assoziiert wird, kann man dem Spielsetting schon vorwerfen, dass es eher die Vorstellung einer amerikanischen Großstadt ist, als eine exakte Abbildung davon (vgl. Interview mit Katsura Hashino).

[2] Arasā ist ein dem Englischen „Over Thirty“ (also über 30) angelehnter Begriff, der japanische, unverheiratete Frauen, die über 30 Jahre alt sind, beschreibt. Der Diskurs kam Mitte-Ende der 2000er auf und wird auch aktuell
noch im japanischen TV in Dramen oder Filmen thematisiert. Die Problematik liegt im etablierten Familienbild und Arbeitsmodell, das in Japan allmählich aus zu laufen scheint. Immer mehr Frauen bleiben (gewollt und ungewollt) nach ihren Dreißigern Single und bilden keine Familie, was der Politik aufgrund der immer weiter sinkenden Demographie Sorgen macht.

[3] Rauchen in geschlossenen Räumen, vor allem in Bars ist normal in Japan. In den meisten Staaten Amerikas dagegen ist das Rauchen in Restaurants, Bars etc. verboten. Hier wird deutlich, dass Katsura sich entweder an der japanischen Öffentlichkeit orientiert hat oder aber den amerikanischen „Free-Spirit“ beibehalten wollte.

[4] Natürlich bildet auch der Arbeitsplatz einen wichtigen Aspekt, wird aber hier nicht thematisiert, weil er für das Spiel irrelevant ist.