Tron 2.0

Die markante Ästhetik des Films Tron (1982) ist heute ein fester Bestandteil der globalen Popkultur. Doch wesentlich interessanter sind die Ideen des Kultfilms: Innerhalb unserer Computer soll es eine eigene Existenzebene für Programme geben, die ihren menschlichen Schöpfern ähneln und gewissenhaft ihre Aufgaben für die, als allmächtig geltenden, User ausführen. Dank der Digitalisierungstechnologie des microsoftähnlichen ENCOM-Unternehmens soll es Menschen sogar möglich sein, die Computerwelt zu betreten.
Nicht nur Aussehen, Sound und die Prämisse des Films implizieren eine enge Beziehung zum Medium Videospiel, sondern auch eine der Hauptfiguren, Kevin Flynn, ist selbst Spielprogrammierer. So gesehen ist es nicht verwunderlich, dass eines der Spiele zum Film als direkte Fortsetzung der Geschichte konzipiert wurde. Tron 2.0 ist ein Shooter, der sich Elemente des Rollenspielgenres bedient und zwanzig Jahre nach den Geschehnissen des Films spielt. Anfang der 2000er steht ENCOM eine Übernahme durch die Konkurrenz von future Control Industries (kurz: fCON) bevor. Einige fCON-Vorgesetzte befinden sich bereits vor Ort und zeigen großes Interesse an ENCOMs Digitalisierungstechnik. Gleichzeitig ist zufälligerweise der ENCOM-Sicherheitschef Thorne plötzlich unauffindbar, wo sich doch gerade ein Computervirus im System verbreitet.

„Ich liebe nun mal meine Spiele, Dad. Das Leben ist kurz. Ich will’s genießen.”
Die Geschichte beginnt mit Protagonist Jethro („Jet“) Bradley, 21 Jahre und Sohn der ENCOM-Mitarbeiter Alan und Lora Bradley. Letztere verstarb als Jet noch ein kleines Kind war. Seitdem führen Vater und Sohn eine schwierige Beziehung: Jet hält sich seit seiner Schulzeit ungern an Regeln, ist ein draufgängerischer Hacker und nutzt sein Programmiertalent lieber in ENCOMs Gaming Division, statt einen gut bezahlten und respektablen Job beim Forschungsteam seines Vaters anzunehmen. Als Alan plötzlich im Zuge der fCON-Aktivitäten verschwindet, schiebt Jet seinen Frust beiseite und sucht dessen Arbeitsplatz auf. Dort wird er ungewollt digitalisiert und muss fortan aus der Computerwelt heraus seinen Vater finden sowie die Machenschaften fCONs aufdecken. Dabei helfen ihm Ma3a, eine von seiner Mutter geschriebenen K. I., Mercury, ein mysteriöses Programm seines Vaters, sowie ein Sidekick in Form des kleinen, besserwisserischen Byte. Jet muss den Sicherheitsprogrammen des Kernels entwischen, den Virus des fehlerhaft digitalisierten Thorne eindämmen und schließlich fCON davon abhalten, eigene digitalisierte Agenten („Data Wraiths“) als Datendiebe auf das Internet loszulassen.

„Ich brauche deine Hilfe nicht. Seit Mama tot ist, komme ich gut alleine zurecht.”
Die Erwartungen der eigenen Eltern nicht erfüllen zu können, ist vor allem für Jugendliche ein nur allzu bekannter Konflikt. Dieser bleibt ab dem Intro ein tragender Teil der Handlung. Erzählt wird sie über Zwischensequenzen (in der Computer- wie auch der realen Welt), Dialoge sowie Texte in Form von E-Mails. Im Kampf gegen fCON, bei dem die Eigenheiten und Talente von Jet wie Alan eine Rolle spielen, lernen Vater und Sohn ihre Differenzen zu begraben.

Mehr als bloßes Schießen
Passenderweise handelt es sich bei Tron 2.0 um einen Ego-Shooter: Die Spielenden interagieren stets aus der Ich-Perspektive und müssen Lebenspunkte und Energie (Munition sowie Währung für Aktionen in der Computerwelt) vorsichtig managen, da beides nur an bestimmten Stationen oder von Datenresten von Gegnern geheilt werden kann. Die Schießereien beschränken sich auf drei Gegnertypen: Sicherheitsprogramme, infizierte Programme und fCONs Data Wraiths. Besiegte Feinde werden filmtypisch schlichtweg auf unspektakuläre Weise gelöscht. Die dafür benötigten Waffen sind, bis auf zwei erkennbare Archetypen einer Schrotflinte und eines Scharfschützengewehrs, insgesamt sehr realitätsfern gestaltet. Zwar wird im Kampf gegen die fCON-Agenten auf andere digitalisierte Menschen geschossen, allerdings wird in den letzten Spielstunden explizit darauf hingewiesen, dass sie in der realen Welt wohlauf sind. Zudem werden die Level noch von „zivilen” Programmen bewohnt, die unbeteiligt ihre Funktionen ausführen und auf Anfrage stets bereit sind, Jet weiterzuhelfen. Sollten die Spieler_innen versuchen diese zu löschen, folgt ein sofortiges Game Over.

Erkunden der Computerwelt
Der übliche Spielablauf ist ein kontinuierliches, punktuell von Kämpfen oder Sprungpassagen unterbrochenes, Erkunden der abstrakten Computerwelt. Schalter wollen betätigt bzw. Bits aktiviert, Schlüssel bzw. Permissions (Genehmigungen) gefunden und Archive nach informativen E-Mails oder hilfreichen Subroutinen (Upgrades) abgesucht werden. Besagte Alpha, Beta oder Gold Subroutinen können Jets Funktionen verbessern oder erweitern. Darunter fällt beispielsweise eine Dämpfung seiner Schritte für Schleichpassagen oder ein Schild gegen Virenbefall. Darüber hinaus können die Spielenden versteckte Build Notes finden. Damit lassen sich beispielsweise Jets Gesundheit oder Energie permanent erhöhen.

„Ma3a würde nie ein ordinäres Bit den Job eines Bytes erledigen lassen […].”
Die Entwickler_innen haben versucht, für möglichst alle Aspekte des Spiels eine technische Basis zu liefern, die für Laien allerdings nicht näher erklärt wird. Ein Beispiel für diese gelungene Kombination der Filmvorlage, des technischen Hintergrundes und der Spielmechaniken ist Jets vorübergehende Flucht in das alte ENCOM-System. Dabei muss er auch seine Helferin Ma3a in den 20 Jahre alten Großrechner transferieren, der allerdings nicht genügend Rechenleistung besitzt. Sidekick Byte schlägt hier eine profane Lösung vor: Jet muss den Prozessor übertakten. Fans von Science-Fiction und Technik kommen durch solche Aspekte auf ihre Kosten.

Fazit:
Tron 2.0 zeigt, dass man für einen spannenden Ego-Shooter weder Militarismus noch realistische Gewalt braucht. Die audiovisuelle sowie spielerische Präsentation kann auch begeistern, ohne den Filmvorgänger gesehen zu haben. Für Anfänger_innen, die noch nicht mit 3D-Umgebungen aus der Ich-Perspektive vertraut sind, könnten die vielen verschiedenen Features allerdings überfordernd wirken. Interessant ist der Titel, neben alteingesessenen Fans des Films, ganz klar für Spielende, die sich für den Cyberspace-Hype der 80er begeistern sowie Jugendliche, die sich für Computertechnik und Science-Fiction interessieren.

Eine Rezension von Ann-Kristin Potthast // Sommersemester 2018